HAEIN CHOI

Stille Gespräche

Oktober 29, 2023 – Januar 12, 2024

Installationviews Hengesbach Gallery, 2023
Fotos: Dirk Wüstenhagen

Versuchen wir zu verstehen, was still ist an Haein Chois malerischen Gesprächen, so ist erkennbar, dass die Welt auf ihren Bildern still ist, die Gegenstände bewegen sich nicht, alles scheint angehalten. Aber nicht nur die Welt, auch das Gespräch selber scheint still zu sein. Nichts Erzählerisches, kein Ablauf, keine Fortsetzung, keine Anknüpfung an etwas scheint stattzufinden. Haben die Gespräche überhaupt ein Thema? Die Bilder stehen weder in einem Dialog miteinander, noch greifen sie etwas auf, was aus einem anderen Kontext bekannt ist. Wir kennen Bücher, Gitter, Lichterketten, Landschaften in zahlreichen Varianten. Aber in Chois Bildern werden sie uns in eine Unmittelbarkeit gesetzt, die überraschend ist, als wenn wir zum ersten Mal einen Zugang zu ihnen hätten. In ihren Bildern werden die Dinge aber nicht beschrieben, sondern ein bestimmter, intimer Zugang zu ihnen wird ermöglicht, von dem sie nicht mehr ablösbar scheinen.
Wenn wir davon sprechen, dass ‚The first page’ ein Buch zeigt, so ist diese Formulierung unangemessen. Wir erfahren weder etwas über Inhalt, noch über seine physische Materialität. Was wir erfahren, ist der sinnliche Eindruck unseres Gefallens an dem Aufklappen eines Buchdeckels mit rotem Vorsatzpapier. Ähnlich verhält es sich bei ‚Whisper’. Wir sehen die Frontseite eines beleuchteten Schaufensters, welches mit einem fein ziselierten Gitter verhängt ist. Was sich hinter der Glasscheibe als Auslage verbirgt, sehen wir nicht. Stattdessen nehmen wir das Wechselspiel zwischen Gitter und beleuchteter Situation wahr, unser Blick wird auf die Zartheit in der Ausbreitung des Ornaments im Verhältnis zum stehenden, fremden Licht gelenkt.
Selbst in Haein Chois Landschaften sehen wir keine material topographische Erstreckung der Welt, sondern wir sehen in dunkleres Licht getauchte entleerte Vordergrundflächen und eine nicht weiter konkretisierte Situation im lichthaften Hintergrund, Horizont oder Himmel. Im Mittelgrund verbleibt eine Figuration von Häusern oder Bäumen, die aber kein Volumen, keine plastische Tiefe zu haben. Deutlich wird nur, dass sie aus dünnen Schichten gemalter Farbe bestehen und eher den Charakter von etwas Diaphanem, Durchscheinendem haben als auf die Solidität einer greifbaren Welt hinzuweisen. Offensichtlich beherbergt das Gemalte Vorstellungen oder Erinnerungen. Der sinnliche Charakter unseres Sehens wird präzisiert, nicht aber der materiale oder physische Charakter der abgebildeten Welt.
Kann man die fehlende Physis in ihren Bildern mit der früheren Diafotografie vergleichen, bei welcher die Welt in durchscheinende Zelluloseschichten eingefärbt zu sein schien? Der wesentliche Unterschied ist aber, dass Chois Bilder zeitlos sind. Sie mögen von ihrer Herkunft her auf einem Moment in der Erfahrung der Welt beruhen, aber dieser Moment ist in ihrer gemalten Umsetzung entzeitlicht. Sie bestehen auch nicht aus einem Ausschnitt aus der Welt wie bei einer fotografischen Aufnahme, weil die Bilder in sich völlig abgeschlossen sind. Es gibt kein Weiter oder Außerhalb über die bildlichen Ränder hinaus. Das unterscheidet den fotografischen Fokus von dem menschlich sinnlich geistigen Fokus. Die Gerichtetheit unseres sinnlichen Auges auf eine sinnliche Erfahrung, auf einen von uns zu bestimmenden Zugang zur Welt enthält diese vollständig, ohne dass es zu ihr noch ein Mehr oder ein Anderes gäbe. Es ist das Element der begrifflichen Bestimmung in unserer Erfahrung. Eine Erinnerung oder eine Vorstellung ist genau diese, zu ihr gibt es kein Mehr, sie ist genau dieser Zugang, diese Gegebenheitsweise.
Die Dinge sind uns ja nie von ihnen selbst her gegeben. Wir stellen sie uns gegenüber, aber diese Gegenüberstellung ist unsere Fiktion, ein vermeintliches und täuschendes Idealbild auf unserem Weg zu den Dingen. Haein Chois Bilder berichten etwas über das Staunen über uns selbst, über unsere Möglichkeiten, mit unseren Sinnen etwas zu erfahren und changieren eigenartig zwischen Objektivität und Subjektivität. Es gibt in ihren Bildern eine Referenz auf Dinge, man kann sie benennen, aber erst in der Erfahrung ihrer Bilder ist zu verstehen, dass die benennbare Referenz vollständig gebunden ist an ihre Erfahrungsweise. Chois Bilder stehen daher in diametraler Opposition zum photographischen Realismus. In ihnen ist keine Welt projiziert und peinlich genau mit allen Details in Malerei umgesetzt. Chois Welt wird aus der Malerei erschaffen, aus den subjektiven Entscheidungen über die Ausarbeitung der Einzelheiten mit ihrem jeweiligen Stellenwert und die Basis für diese Malerei ist das Nachspüren nach der Authentizität der eigenen Empfindung mit malerischen Werten, der Versuch, der eigenen Empfindung eine zu bildende oder formende Richtigkeit zu geben. Deswegen sind diese Gespräche Selbstgespräche, Aufklärung über uns selber, Aufklärung über das Staunen, dass wir immer wieder auf unseren Wegen zu den Dingen beobachten. Die Bilder müssen diese diaphane Qualität annehmen, weil der eigene Weltzugang in der künstlerischen Durchbildung versucht sich durchsichtig zu machen. Selbst die Undurchdringlichkeit von Bäumen muss in Haein Chois Malereiprojekt etwas Durchscheinendes erhalten.

To understand what is silent in Haein Choi’s painterly conversations, it is noticeable that the world in her paintings is silent; objects do not move, everything seems paused. But it’s not just the world that is silent; the conversation itself appears to be still. There is nothing narrative, no sequence, no continuation, no connection to anything. Do these conversations have a theme at all? The paintings neither engage in a dialogue with each other, nor do they pick up on something known from another context. We are familiar with books, grids, string lights, landscapes in numerous variants. But in Choi’s paintings, they are presented with an immediacy that is surprising, as if we were accessing them for the first time. In her paintings, however, things are not described, but a specific, intimate access to them is enabled, from which they seem inseparable.
When we say that ‚The first page‘ shows a book, this phrase is inadequate. We learn nothing about its content or physical materiality. What we experience is the sensual impression of our liking for the unfolding of a book cover with red endpaper. The same applies to ‚Whisper‘. We see the front of an illuminated shop window, covered with a finely chiseled grid. We do not see what is behind the glass as a display. Instead, we perceive the interplay between the grid and the illuminated situation, our gaze drawn to the delicacy of the ornament’s spread in relation to the standing, alien light.
Even in Haein Choi’s landscapes, we see not a material topographical extension of the world, but foregrounds dipped in darker light and an unspecified situation in the light-filled background, horizon, or sky. In the middle ground remains a figuration of houses or trees, but they seem to have no volume, no sculptural depth. It is clear only that they consist of thin layers of painted color and have more the character of something diaphanous, translucent, than pointing to the solidity of a tangible world. Obviously, the painted harbors notions or memories. The sensual character of our seeing is specified, not the material or physical character of the depicted world.
Can the lack of physicality in her paintings be compared to earlier slide photography, where the world seemed to be colored into translucent cellulose layers? The essential difference, however, is that Choi’s paintings are timeless. They may be based on a moment in the experience of the world, but this moment is detemporalized in their painted realization. They also do not consist of a segment of the world like a photographic shot, because the paintings are completely self-contained. There is no beyond or outside over the pictorial edges. This distinguishes the photographic focus from the humanly sensual mental focus. The direction of our sensual eye to a sensual experience, to a world access we determine, contains it completely, without there being more or something different to it. It is the element of conceptual determination in our experience. A memory or an idea is precisely this; there is no more to it; it is precisely this access, this mode of givenness.
Things are never given to us from themselves. We face them, but this confrontation is our fiction, a supposed and deceptive ideal image on our way to things. Haein Choi’s paintings tell something about the wonder of ourselves, about our possibilities to experience something with our senses, and strangely oscillate between objectivity and subjectivity. There is a reference to things in her paintings; they can be named, but only in the experience of her paintings is it understood that the namable reference is completely bound to her way of experiencing. Choi’s paintings, therefore, stand in diametrical opposition to photographic realism. In them, no world is projected and meticulously converted into painting with all details. Choi’s world is created from painting, from the subjective decisions about the elaboration of the details with their respective importance, and the basis for this painting is the pursuit of the authenticity of one’s own feeling with painterly values, the attempt to give one’s own feeling a formative correctness. Therefore, these conversations are self-conversations, enlightenment about ourselves, enlightenment about the wonder that we always observe on our ways to things. The paintings must take on this diaphanous quality because the personal world access in the artistic development tries to make itself transparent. Even the impenetrability of trees must acquire something translucent in Haein Choi’s painting project.