Tristan Hutgens · Dieter Kiessling · Axel Lieber · Joseph Marioni · Lennart Martin · Anthony McDonald · Christopher Muller · Moritz Neuhoff · Jürgen Paatz · Björn Siebert · Nikola Ukic · Markus Willeke
May 4 – June 13, 2025









In der Kunstwelt wird bei der Beschreibung von Kunstwerken häufig das Wort ‚Spannung’ bemüht. Hierbei wird nicht immer unterschieden, ob es sich um Spannung in uns Betrachtern im Angesicht einer bedrohlich empfundenen Situation handelt oder um formale Spannungen, also um gegensätzliche Qualitäten oder um physikalische Spannungen bei Oberflächen oder Energiezuständen. Erwartungen und sinnliche Empfindungen lassen sich häufig nicht voneinander trennen, können aneinandergekoppelt sein. Deswegen können sie uns unmittelbar in den Bann schlagen und unsere geistige Aufmerksamkeit wachrufen.
In dieser Ausstellung versammeln wir vier Generationen von Künstlern, die von ihren Haltungen sehr unterschiedlich sind, über die ausgesuchten Werke aber in einen überraschenden Dialog miteinander treten und sich auf unterschiedlichen Ebenen die Bälle zuschieben, das können empfindsame Kontrastierungen, aber auch ironische Brechungen sein.
Tristan Hutgens – ‚Reaktionszustände’ – Hutgens hat mit Formsand für den Bronzeguss eine schmale längliche Lattenform gebaut, einen dünnen Hohlraum freigehalten und mittels vier Einfüllstutzen jeweils eine zu geringe Menge an Bronzen hineinlaufen lassen. Der Hohlraum wird nur teilweise ausgefüllt, weil sich die sehr heiße Flüssigkeit unregelmäßig aneinandergefügt und nur punktuell verbunden hat. Die Hitze und das Allchemistische dieses Prozesses überträgt sich angesichts der sinnlichen Anmutung unmittelbar: obwohl inzwischen erkaltet, werden wir eines elementaren Schmelzprozesses im Werden gewahr.
Dieter Kiessling – ‚Loslassen’, ein langer ausgestreckter Arm, zugehörig zu einem mit einem schwarzen T-Shirt bekleideten Körper hat ein langes schwarzes Gummiseil gespannt gehalten – die Striemen des um den Arm gewickelten Seiles sind noch als helle Spuren auf der Haut sichtbar –und dann losgelassen. Das frei gelassene Seil zischt in einen offenen hellen Raum. Verbindung und Trennung, Kontrollbeherrschung und Freigelassensein bauen ein Gegensatzmoment auf. Gleichzeitig werden wir unbeteiligte Betracher zu Teilnehmern, weil dieser kurze von der Kamera eingefangene Moment uns einfängt und unseren eigenen Körper beben lässt.
Axel Lieber – ‚Mein konstruktiver Alltag’: zahlreiche Verpackungen aus unserer alltäglichen Haushaltsführung fragmentierte Lieber bis auf ihre schmalen Kantensegmente, versteifte diese und baute sie zu einer offenen, verschachtelten Architektur zusammen. Sie erzählt uns etwas davon, was die Zahnpasta quer zur Feuchtigkeitscreme und auf dem Cholesterinsenker mit uns anstellen: Unser Alltag enthält die vielfältigsten Ordnungen und zeitlichen Abfolgen, die wir unbewusst in einer spannungsvollen Balance zu halten versuchen.
Dreifach Comic-Box: Mit seinen Fragmentierungen unserer bildlichen Abenteuergeschichten beraubt uns Lieber der Bilder, lässt bis auf ein Farbgeflimmer am Rand nur noch die quellenden Blasen mit ihren ausgelöschten Texten als freies Spiel eines Schwebens übrig, bereichert uns aber mit den unendlichen Wortgeschichten der vielfältigsten Stimmen, die diese in unseren Ohren wachrufen, banale und gehaltvolle.
Lennart Martin – Im Hintergrund Trump nach dem Attentatsversuch seine Faust reckend. Unbeabsichtigt eine widersinnige assoziative Verknüpfung zu Delacroix’ Bild ‚Die Freiheit führt das Volk’ wachrufend. Sein Teint goldfarben wie die Wasserhähne in seinem Florida Haus und wie der von Lennart Martin passend gestaltete Rahmen, der jegliche Ordnung im Dekorativen sprengt. Das tiefe Blau des Himmels fügt sich dem Diktum, dass die Folgen der Erderwärmung ausgeblendet bleiben müssen. Violette kleine Teufelchen als Nebenspieler, die undurchsichtige Sonnenbrille des Mannes spricht den Dunstkreis der Unkontrollierbarkeit entfesselter Machtakteure aus. Im Vordergrund der deutsche ARD-Nachrichtensprecher Michail Paweletz als Folie für Trumps Rassismus und DEI Jagd.
Anthony McDonald – Seine Rahmenbilder verdrehen die Intention des Bildersehens. Das zentrale Bildfeld ist grau oder tief Violett, nicht mit weiteren Details versehen. Die Delikatheit von Malerei findet hier am Rand statt, in den sorgfältig gesetzten pastosen Malspuren, in dem Gold- und Olivleuchten der Farbe, die das girlandenhafte Spiel eines mäandernden Bandes und eine perspektivische Verdichtung auf ein nicht vorhandenes Zentrum vortäuscht. Das Ganze ist nicht eine flache Bildillusion, sondern ein rätselhaft anmutender plastischer Körper.
Joseph Marioni – der rote Strom des Lebens rinnt hier in einer geschlossenen Gesamterscheinung nach unten. Zu allen vier Rändern drückt er unterschiedliche Akzente unserer Körperlichkeit aus, oben die zarte Berührung der Farbe mit dem Bildrand als eine Art Streckens, wo das Rot fast zu versiegen scheint und die dunkle Untermalung zum Vorschein kommen lässt, rechts und links wird das unterschiedliche Schicksal des orangenen Untertons sichtbar, unten das tropfende Quellen der Farbe als der Gravitation nachgebend. Obwohl die Farbe einzelne Momente artikuliert, verbleibt sie in der Gesamtspannung eines gemalten Körperlebensereignisses.
Christopher Muller – ‚Spüle’, das Kalte und Metallische unserer hygienischen Küchenspülen mit ihren horizontalen Rillen schimmern lassen, darauf die Gespanntheit einer Klammer von einem zusammengeklappten Teesieb. Daneben als Dreiergruppe die vertikalen Rillen eines transparenten Trinkglases, die glatte Porzellan-Glasierung der Gesichtshaut einer Tasse, und der etwas zerbeulte, vom Tee dunkelgefärbte Siebkorb. Vorne ein paar sich in ihrer Oberfläche spannende Wassertropfen. Erst der Ausschnitt und die Diagonalisierung fügen diese Elemente zu einem sinnhaften Bild eines Lebensausschnittes zusammen.
Direkt vor uns eine Glasvase, dahinter eine rote Rose, die sich zu einem schmalen blauen Glas in der Ecke einer Fensterbank hochreckt. Sie ist nicht real, auch nicht die Vase und das Glas, nur ein Bild auf einem Blatt Aquarellpapier, welches an eine rötlich schimmernde, ins räumlich Dunkle abtauchende Wand gelehnt ist. Davor ein heller rötlich schimmernder Tisch, mit weißen Papieren, elektrischem Kabel, weißer Steckdose, dunklem Ordner. Ist das Weiße doch nur unbemaltes Papier, das Dunkle nur eine intensiver bemalte Fläche?
Moritz Neuhoff – große, schnelle, ausladende Bewegungen, in ihrer Feinlinigkeit scheinbar von einem großen Pinsel hergestellt. Als malerische Durchführung ist dies aber ganz unmöglich, weil kein Pinsel, auch nicht ein Wunderpinsel, so gleichmäßig verschiedene Farbpigmente zu langen Spuren zusammenfügen könnte. Ist es ein virtueller Pinsel, eine Art superfeinkörniger Magnet, der den farbigen Elektronenstrahl einer Bildröhre ablenkt und auf einer Mattscheibe ein solches Bild erzeugt? Aber auch dies scheint unmöglich, denn die Farbe ist nicht homogen, sondern mal stärker und mal schwächer. Außerdem scheint der Elektronenstrahl nicht immateriell, sondern sich in einer dicken weißen Sahneschicht zu bewegen, durch die hindurch farbige Pigmente quellen. Gehorcht die Farbe einer Art irrealer Gravitationsumschaltung, denn sie legt sich in horizontale und dazu paradox auch vertikale Streifen chromatisch auseinander?
Jürgen Paatz – aus dem Regelkanon des rechteckigen Bildformats ausbrechen, mit Draht eine freie Umrissform finden, den Draht umspannen und ein Bild malen in mittelalterlicher Technik des Einrührens von Pigment in Ei-Tempera. Dient der lange Draht bei dem einen Werk als abwägende lange Stange, um eine Balance der Farben zu demonstrieren, dient er bei einem anderen Werk als Widerhaken, als aus der Fläche herausschießende zeichnerische Markierung und zugleich als Material brachialer Eingriff in die malerische Homogenität? Was die eine malende Hand still meditativ herzustellen scheint, bestreitet der Furor der anderen werkenden Hand gleich wieder.
Björn Siebert – ‚Picnic’ – kein gemeinschaftliches Ausruhen oder Lagern oder Präsentieren junger Leute im Freien, nur Reste: Plastiktüten, aufgebläht, schutzlos dem Spiel des Windes ausgesetzt, weil sie so leicht sind, fast ein Nichts, bestimmt für den nächsten Abfall, und doch fangen sie das Licht als eine nicht intendierte Projektionsfläche für das helle Leuchten und Aufblitzen in den Faltungen ein, ein magischer Moment so im Unscheinbaren.
Nikola Ukic – Die Form eines Schalltrichters aus Bakelitplatten, der ausgerechnet von einer spröden Masse aus PU zusammengehalten wird, die selber keine Form hat, sondern im Gegenteil chaotisch wirkt, nicht wie ein vollständiger, sondern wie ein aufgerissener Körper, mit einer schwarzen Schuppigkeit, an einen Moment des Verletztseins oder des aufkratzenden Juckens erinnernd. Innen zwei Garnrollen, die in Metallwerkstätten zum Aufsaugen von Öl benutzt werden, hier aber wie zwei überdimensionierte Maden wirken.
Ein Reigen fassender Hände und Arme ohne Anfang und Ende, ein Schnitt durch unsere sozialen Beziehungen mit ihren verschiedensten Richtungen und Möglichkeiten, mittels Kommunikation in eine Berührung miteinander zu kommen. Die Weichheit des Silikons widerstreitet der Härte und Starrheit der Armierungseisen. Zwischen beidem scheinen die feinen Verästelungen des Drahtes zu vermitteln. Die Farbigkeit des Silikons und die Funktion des Armierungseisens lassen aber auch an starren Beton denken, dem die Beweglichkeit der Arme widersprechen; prozesshafte Materialitäten, die sich widersprüchlich ausagieren.
Markus Willeke – ein riesiges saugendes Papier. Farbexplosionen, die sich nicht still stellen lassen wollen, sondern sich frei ihren Weg suchen und in diesem Prozess sich mitunter in ihrer eigenen Konsistenz auflösen und in einzelne Bestandteile zu zersetzen scheinen. Nirgendwo kann Ruhe einkehren, überall ein Auf- und Abschäumen von Intensitäten, ein In- und Gegeneinanderlaufen von Kontrasten und Wieder-Ausfransen. Selten gibt es so ein Leuchten von Farbe wie hier und gleichzeitig ein Schillern, einen solchen Gegensatz von farblicher Reinheit und unidentifizierbarer Vermischung, von Sättigung und Ausdünnung. Da ist dann das Reale nicht mehr unterscheidbar von seinem Schatten. Alles ballt sich zu einer allseitigen Bewegungsform zusammen, und wenn diese uns zu attackieren scheint, dann ist nur noch Flucht angesagt.